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(92) Autofahrers Traum

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Sonntag, 13. Mai 2018: 2018-05-13 León – Villavante (31,0 km)

Endlich ist wieder Wandertag. Ich habe tatsächlich sehr gut geschlafen, bis um halb acht „Mitbewohner“ aus einem anderen Zimmer laut quatschend in die Wohnung gepoltert sind und im Zimmer Musik gehört haben. Es hat mich nicht sehr gestört, da ich sowieso aufstehen wollte. Später muss ich erfahren, dass irgendwer die halbe Wohnung, darunter auch das Zimmer, in dem ich geschlafen habe, verwüstet hat. Lampen zerstört, Kabel zerschnitten, … Einfach unfassbar!

Erneut kehre ich in das Café gegenüber von San Isidoro ein und frühstücke, heute jedoch nicht so lange wie gestern. Vor der Überquerung des größten Flusses der Stadt laufe ich am „Hostal de San Marcos“ vorbei. Das imposante Gebäude mit der Barockfassade hat eine bewegte Vergangenheit. Es war einstmals ein Kloster, eine Schule, ein Gefängnis und beherbergt heute das oben genannte Fünf-Sterne-Parador. Der Weg aus der Stadt ist bis Virgen del Camino wieder mal recht öde. Aber es ist auszuhalten, und am Ende des Dorfes mache ich erneut eine Kaffeepause. Bis hierher verlief der Jakobsweg durch die Randgebiete von León und an einer Hauptverkehrsstraße bis in dieses Straßendorf. Ich habe es überstanden und gehe bei herrlichem Wetter weiter.

Als sich der Weg teilt, entscheide ich mich für die schönere Alternative über Villar de Mazarife und Villavante. Ich habe keine Lust, für die nächsten fast 30 Kilometer neben einer Nationalstraße herzulaufen und Abgase einzuatmen. Bei der Überquerung der Autobahn denke ich an deutsche Fernstraßen. Das hier ist der deutschen Autofahrer Traum: Kein Fahrzeug auf der Straße! Der Wind wird jetzt stärker, und ich bin froh, die dicke Hose angezogen zu haben. Bis Chozas de Abajo geht es auf schönen Feldwegen weitgehend eben durch die Meseta. Ab hier folgt der Camino wieder dem Verlauf einer Römerstraße. In Villar de Mazarife mache ich eine letzte Pause in der einzigen Bar unweit der merkwürdigen Kirche. Nach dem Dorf geht es kerzengerade für mehr als acht Kilometer vorbei an riesigen Getreidefeldern Richtung Südwesten.

Kurz vor Villavante laufe ich wieder auf einem Feldweg. Noch vor vier Uhr erreiche ich die Herberge Santa Lucia, in der ich bereits vor vier Jahren übernachtet habe. Damals habe ich mir mit Harald ein Zweierzimmer geteilt; heute nächtige ich mit mehr als 20 anderen Personen im Schlafsaal. Nach dem Abendessen (Pilgermenü) mit Matthias aus Mannheim und den Österreichern Tamina, Karin und Wolfgang. Die beiden Mädels sind am Freitag in León angekommen und warten seitdem auf ihre Rucksäcke, die leider nicht mit im Flieger waren. Um so größer ist die Freude, als gegen acht Uhr ein Kurier die beiden Gebäckstücke in der Herberge abliefert.

Wir feiern das Ereignis mit einer Flasche Wein, die ich gerade noch ergattern kann, bevor die Ausgabe geschlossen wird. Frühstück gibt es hier morgens ab acht Uhr, also erst, wenn fast alle Pilger die Unterkunft bereits verlassen haben. Wollen die hier nichts verdienen? Egal, wir teilen den Wein und freuen uns über den glücklichen Ausgang der Geschichte.