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(87) Weiter nach Westen

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Dienstag, 8. Mai 2018: Calzadilla de la Queza – Sahagún (21,7 km)

Ich habe prima geschlafen und bin um kurz vor acht beim Frühstück mit Eyleen und Michael. Wir sind schon wieder die Letzten. Warum machen sich denn viele andere Pilger so einen entsetzlichen Stress und verlassen die Herbergen teilweise schon vor sechs Uhr – da ist es noch dunkel, und ein Frühstück gibt es auch noch nicht? Gut, sollen die das machen, aber bitte leise!

Heute führt der Jakobsweg wieder häufig an der Straße entlang, eine alternative Route gibt es nicht. Auf dem Weg nach Ledigos entdecke ich eine Liebeserklärung an eine Lea und hoffe, dass die Angebetete diese wahrgenommen hat. Zur Kaffeepause trifft auch das Camino-Pärchen Eileen und Michael ein, und endlich machen wir ein Selfie zusammen. Die beiden laufen gemütlicher als ich, aber wir sehen uns sicher irgendwann wieder.

In Moratinos lege ich eine längere Mittagspause und verzehre ein Bocadillo; heute habe ich einfach Appetit. Von hier sind es noch zehn Kilometer ohne größere Höhenunterschiede bis nach Sahagún; irgendwie klingt der Name in meinen Ohren seltsam unspanisch, fast schon fernöstlich. Während ich neben der Nationalstraße auf schnurgeradem Weg der Stadt zustrebe, hat sich der Himmel im Nordwesten bereits verdunkelt – hoffentlich komme ich noch trocken in meine Herberge. Heute habe ich wieder ein Einzelzimmer. 25 Euro ist mir dieser Luxus wert, auf diesem Camino habe ich schließlich schon oft genug miserabel geschlafen.

Nach einer kleinen Siesta und der täglichen Körperpflege will ich die Herberge verlassen und stehe buchstäblich im Regen. Der Hospitalero leiht mir einen Schirm, und ich laufe los, um die Stadt zu erkunden. Als ich über die Plaza Mayor gehe, höre ich meinen Namen: Diana und Kerstin sitzen vor einem Restaurant unter den Arkaden im Trockenen und haben gut gespeist. Nach einem kurzen Plausch setze ich meinen Rundgang fort. Die Kirche San Tirso gehört zu den großartigsten Beispielen für die Ziegelsteinarchitektur in Spanien. Sie grenzt direkt an das Kloster San Benito, von dem nur noch ein Turm erhalten ist. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich auch das barock verzierte Tor gleichen Namens. Obwohl nach dem Regen bald die Sonne wieder zum Vorschein kommt, wirkt dieser Ort irgendwie düster auf mich. Schlechte Energie; ich fühle mich hier nicht richtig wohl.

Aber nachdem ich Diana, Roland und Kerstin wiedergetroffen habe, wird die Stimmung schnell wieder besser. Roland und ich haben Hunger, finden aber auf der Karte des Irish Pubs nichts Festes, was unser Herz erfreut, nur Flüssignahrung. Also gibt es als Vorspeise für jeden von uns ein Weißbier. Später gehen wir in die Herberge der drei und nehmen dort ein Pilgermenü zu uns. Es war noch akzeptabel, aber sehr fettig. Auf ein solches Standard-Camino-Abendessen sollte man verzichten, wenn es andere Alternativen gibt. Häufig aber, besonders in kleinen Dörfern oder einsam gelegenen Herbergen ist der Pilger froh, eine solche Mahlzeit zu bekommen. Es ist fast schon zehn Uhr und ich mache mich auf den Heimweg, um nicht vor verschlossener Türe zu stehen.