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(79) Wo sind die Gänse?

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Montag, 30. April 2018: Villafranca Montes de Oca – Atapuerca (18,9 km)

Ich habe gut geschlafen in meiner Kammer unter dem Dach. Ab und zu habe ich den Regen gehört und mich gefreut, in einem trockenen Bett zu liegen. Am Morgen ist der Himmel stark bewölkt, aber es regnet nicht. Beim Frühstück in der Bar eines Hotels treffe ich auch Diana, Dirk und Roland wieder. Die drei machen den Jakobsweg ganz entspannt und nehmen zwischendurch auch mal den Bus.

Direkt zum Anfang der heutigen Etappe geht es bergauf. Der Weg ist trotz des Regens der Nacht gut zu gehen und weitgehend trocken. Bis auf 1.075 Meter steigt er an, um dann, von einem kleinen Tal abgesehen, weitgehend eben zu verlaufen. Es sind die „Montes de Oca“, was mit Gänseberge übersetzt werden könnte, die ich heute durchquere. Dabei gibt es hier gar keine Gänse. Der Name kommt von einer alten römischen Siedlung namens Auca, die sich in der Nähe befunden hat. Trotzdem taucht gerade hier das Gänsespiel „Juego de la oca“ an jeder Ecke auf. Es gilt als eines der ältesten und am weitesten verbreiteten Brettspiele Europas sowie als Prototyp vieler moderner Würfel- und Laufspiele.

In San Juan de Ortega mache ich eine kleine Pause, bevor es weitergeht nach Agés, wo ich schon wieder raste. Es ist grade 12 Uhr; ich habe viel Zeit. In dieser kleinen Bar war ich bereits vor vier Jahren und bin erneut begeistert von dem Haus, der gemütlichen Atmosphäre und dem kleinen Laden. Bis Atapuerca, einem kleinen Ort, in dessen Nähe 1994 hunderte urmenschlicher Knochen entdeckt wurden, sind es nur noch zwei Kilometer. Mich zieht es allerdings mehr zur Herberge als zur Ausgrabungsstätte. Taylor ist bereits hier und wir beschließen, gemeinsam einen Kaffee zu trinken, da die Albergue erst um 13 Uhr öffnet.

Als wir um kurz nach eins zurückkommen, staunen wir nicht schlecht: Fast die Hälfte der Plätze ist bereits vergeben. Es herrscht ein erstaunlicher Andrang auf dem Camino. Nachdem ich mein Nachtlager vorbereitet habe, verabschiede ich mich, um zu arbeiten. Mit Laptop bewaffnet gehe ich zum Restaurant „El Palomar“, das ich noch in guter Erinnerung habe. Heute ist es jedoch nicht mehr so urig, sondern vornehm mit Hussen und edlem Geschirr eingedeckt. Der freundliche Wirt, dem ich nach meinem ersten Camino eine Karte aus Freudenstadt geschrieben hatte, ist nicht mehr da. Die Dame, die hier die Chefin zu sein scheint, ist nicht sonderlich freundlich.

Nach der Arbeit mache ich eine kleine Siesta und treffe später bei einem Kaffee erneut auf Livia und Dominik, welche hier im kleinen Laden gerade einkaufen. Sie laden mich spontan zum Abendessen ein. Ich sorge also für die Getränke und verabrede, dass ich auch Taylor mitbringen kann. Es ist wunderbar, und wir genießen zu viert ein super Risotto und den mitgebrachten Rotwein. Anschließend spielen wir Karten und vergessen dabei die Zeit. Taylor und ich sind erst kurz vor 23 Uhr bei unserer Herberge. Glücklicherweise steckt der Schlüssel in der Haustüre, so dass wir keine Mitpilger wecken müssen. Ganz leise schleichen wir in das mit fünf Schlafplätzen ausgestattete kleine Zimmer und betten uns zur Nachtruhe.