Sonntag, 29. April 2018: Redecilla del Camino – Villafranca Montes de Oca (25,0 km)
Nach den Erzählungen anderer Pilger bin ich froh, hier in dieser Pension übernachtet zu haben. In der Herberge soll es kaum noch erträglich gewesen sein. Viele laute und rücksichtslose Menschen in engen Räumen und ekelige Sanitäranlagen. Einfach ist okay, aber so etwas brauche ich nicht!
Pilgeralltag: Am Morgen hole ich erstmal meine Kleidung von unten. Zusammen mit Anett und Lara habe ich den Wäscheservice in Anspruch genommen. Für fünf Euro ist alles wieder gewaschen, sauber und trocken. Beim Einpacken meiner Sachen stelle ich fest, dass etwas fehlt: Das gelbe Eigen-SiNN Shirt fehlt, welches ich fast jede Nacht trage. Bereits mit allen Sachen bepackt frage ich María danach. Die kleine Dame mit den blonden Haaren entschuldigt sich unzählige Male, dass das Shirt noch auf der Leine hängt. Inzwischen ist es trocken und ich kann es verpacken. Nach dem Standard-Frühstück stapfe ich wieder los.
Der Himmel ist bedeckt, meine Laune aus unerklärlichen Gründen auch. Also dauert es nicht lange, bis ich wieder anfange zu „hirnen“. Ich grüble während des Laufens über all die Themen, die mich nicht erst hier auf dem Camino beschäftigen. Warum bin ich hier? Hier auf dem Camino und hier auf dieser Welt? Was hat das für einen Sinn, für mich und für andere? Ich finde keine Antworten darauf.
Etwas konkreter wird es, wenn ich über meine mangelnde Fähigkeit nachdenke, Gefühle so zu empfinden, um einigermaßen kompatibel mit anderen Menschen zu sein. Es ist mit ein paar Unterbrechungen seit 35 Jahren immer wieder der gleiche Themenkomplex, manchmal mit verschobenen Schwerpunkten. Mein Hirn läuft ständig, ich kann es nicht abschalten und mich fallen lassen. Deshalb stehe ich auch oft wie der Ochs vor dem Berg, wenn andere Menschen sehr emotional reagieren, ich aber einfach nicht mehr mitkomme.