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(77) Fliegen durch La Rioja

  • Frank Derricks
  • Jakobsweg, Kurzinformation, Projekt
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Samstag, 28. April 2018: Azofra – Redecilla del Camino (26,1 km)

Um drei Uhr bin ich wieder wach und weiß nicht warum. Neue Bisse scheine ich nicht zu haben, aber es juckt an den alten Stellen. Über eine Stunde liege ich wach im Bett, bevor ich das Licht anschalte und zum Rechner greife, um ein bisschen zu schreiben. Nach einer Dreiviertelstunde fallen mir dann doch die Augen zu, und ich schlafe tatsächlich wieder ein. Um Viertel nach sechs ist dann endgültig Schluss mit Schlafen. Noch immer keine neuen Bisswunden, klasse!

In der Nacht hat es etwas geregnet, aber jetzt sieht es schon wieder besser aus. Es ist bedeckt und deutlich frischer als in den letzten Wochen. Kurz nachdem die Bar geöffnet hat, liege ich dort wieder vor Anker und genieße mein Camino-Standard-Frühstück: Zwei café con leche, zumo de naranjas und eine napolitana (Milchkaffee, Orangensaft und Schokocroissant). Um halb neun ist es höchste Zeit, das Dorf zu verlassen und eine weitere Etappe durch La Rioja zu starten.

Nach zwei Kilometern ist wieder die Autobahn erreicht, an der der Jakobsweg heute nur für eine kurze Zeit entlangführt. Auf den nächsten sechs Kilometern sind 200 Höhenmeter zu überwinden. Ich bin froh, dass es in der Nacht nur wenig geregnet hat. Der Streckenabschnitt vor dem Golfclub „Rioja Alta“ ist mir als extrem matschig in Erinnerung geblieben. Vielleicht ist der Weg aber auch in den vergangenen Jahren neu befestigt worden. Egal, Hauptsache kein Matsch.

Das Golfgelände am Rande einer Geisterstadt, deren Bau wohl im Boom der 90er Jahre begonnen wurde, lasse ich links liegen. Viele der Häuser waren nie bewohnt, und das sehe ich ihnen an – schnell weg hier! Nach Santo Domingo de la Calzada geht es vorbei an Weizen- und Rapsfeldern wieder bergab. Hier gibt es kaum eine Möglichkeiten, die gelben Markierungspfeile anzubringen, daher tut es auch mal ein Pfeil aus Steinen. In Santo Domingo stoße ich dafür auf einen riesigen Pfeil, den ich fast übersehen hätte, wären da nicht die Radler gewesen, die ich hier fotografisch festgehalten habe.

Im Zentrum finde ich auch Steff wieder, die mit einer anderen Pilgerin in einer Bar Platz genommen hat. Auch ich mache hier eine kurze Pause bevor ich die Stadt des Hühnerwunders wieder verlasse. Dem Hahn im Gotteshaus, dessen Krähen einem Pilger beim Betreten der Kirche angeblich einen glücklichen Verlauf der Wallfahrt nach Santiago vorhersagt, statte ich heute keinen entgeltlichen Besuch ab. Das Tier, das in einem reich verzierten goldenen Käfig seinen Dienst tut, blieb vor vier Jahren schließlich auch stumm.

Das Wetter ist unverändert, und nach einer weiteren Pause starte ich ins nächste Dorf durch. Das Wandern fühlt sich heute so leicht an wie Fliegen. Trotzdem beschließe ich nach 26 Kilometern, die heutige Etappe in Redecilla del Camino zu beenden. Aus der Türe der kommunalen Herberge quillt ein Mischgeruch aus Achselschweiß und altem Käse, einfach widerlich. Wenige Meter weiter gibt es eine kleine Pension, wo eine sehr freundliche Wirtin mir ein Doppelzimmer zur Einzelnutzung für 30 Euro anbietet.

Mit Dominik und Livia, einem jungen Pärchen, dass sich auf dem Camino gefunden hat, und Annett und ihrer Tochter Lara esse ich in der zur Pension gehörenden Bar zu Abend. Die Unterhaltungssprache am Tisch ist heute Deutsch, denn auch Livia, eine junge Italienerin, spricht sehr gut meine Muttersprache. Wir unterhalten uns über den Camino, das Teilen und das für andere da sein. Es ist einfach etwas Besonderes, auf dem Jakobsweg zu sein.