Freitag, 27. April 2018: Ventosa – Azofra (16,6 km)
Um halb zwei wache ich auf und bin nassgeschwitzt. Außerdem juckt es überall. Mist, da sind die Viecher wieder, deren Bekanntschaft ich bereits vor vier Jahren gemacht habe: Bettwanzen! Die Bisse der kleinen Tierchen selber sind weder schmerzhaft noch gefährlich. Krankheiten werden selten übertragen. Es juckt nur von Zeit zu Zeit entsetzlich und die kleinen Pickel und Pusteln verschwinden erst nach vielen Tagen. Außerdem beißt eine Bettwanze (Cimex lectularius) nicht nur einmal und saugt sich dann voll. Nein, das Vieh wandert bei seiner Nahrungsaufnahme über die Haut und beißt immer wieder zu. Ekelig!
Tja, das ist eben die andere Seite des Pilgeralltags, wenn man Pech hat. Den ganzen Tag frage ich mich, ob ich diese kleinen Tierchen jetzt auch noch in meinen Sachen durch Spanien trage. Bei bedecktem Himmel laufe ich über die gleichen staubigen Wege wie gestern weiter nach Westen. Zwar sehe ich einige Rebflächen, aber das sind für mein Gefühl doch recht wenige. Wo kommt denn der ganze Wein her, der teilweise zu Spottpreisen bei uns in den Supermarktregalen steht? Immer wieder wechseln sich Wein- und Getreideanbau ab. Klar, die Spanier brauchen neben Rotwein auch Weizen für die Unmengen von Weißbrot, die hier verzehrt werden. Ich will da mal bei den Klischees bleiben.
In der Ferne zur Rechten, also im Norden, sind die kantabrischen Kordilleren zu erkennen, die sich aus leichtem Nebeln erheben. Auf einem hübschen Pfad geht’s leicht bergauf Richtung Najera. Vorbei an einem Kieswerk laufe ich unter dem bedeckten Himmel und auf der Suche nach einem Rastplatz in die verkehrte Richtung. Also wieder umdrehen und zurück zum Picknickareal, wo ich jetzt auch den Wegweiser erkenne. Es geht weiter vorbei an einem Industriegebiet, und an einer Mauer steht noch immer ein Gedicht auf deutsch geschrieben:
Staub, Schlamm, Sonne und Regen,
das ist der Weg nach Santiago.
Tausende von Pilgern
und mehr als tausend Jahre.
Wer ruft dich? Pilger
Welch’ geheime Macht lockt Dich an?
Weder ist es der Sternenhimmel
noch sind es die großen Kathedralen,
weder die Tapferkeit Navarras
noch der Rioja-Wein
nicht die Meeresfrüchte Galiziens
und auch nicht die Felder Kastiliens.
Pilger, wer ruft dich?
Welch’ geheime Macht lockt Dich an?
Weder sind es die Leute unterwegs
Noch sind es die ländlichen Traditionen
weder Kultur und Ges[ch]ichte
noch der Hahn Sto. Domingos
nicht der Palast von Gaudi
und auch nicht das Schloß Ponferradas.
All’ dies sehe ich im Vorbeigehen
und dies zu sehen ist ein Genuß
doch die Stimme die mich ruft
fühle ich viel tiefer in mir.
Die Kraft, die mich voran treibt.
Die Macht , die mich anlockt
auch ich kann sie mir nicht erklären.
Dies kann allein er dort oben!