(66) So viel grün

  • Frank Derricks
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Dienstag, 17. April 2018: Aroue – Saint-Jean-Pied-de-Rort (≈ 33 km)

Hubert, der mit mir im Zimmer geschlafen hat, steht recht früh auf, und so bin ich auch schon vor sieben beim Frühstück. Es gibt alles, was in Frankreich so üblich ist, außer Croissants. Die stehen aber schon länger nicht mehr auf meiner morgendlichen Speisekarte. Bei Sonnenaufgang verlasse ich die Herberge und laufe an einer relativ stark befahrenen Straße nach Aroue, um kurz nach dem Ort links auf eine weniger befahrene Straße einzubiegen. Das Wetter ist fantastisch, und ich laufe bereits in kurzen Hosen.

Den Weg werde ich etwas abkürzen und direkt Richtung Ostabat laufen. In ständigem Auf und Ab laufe ich durch eine herrlich hügelige Landschaft. Die Wiesen und Weiden strahlen in einem satten Grün. Es ist so unglaublich grün hier. Unterwegs wird mein Weiterkommen von einer Schafherde verzögert. Später unterhalte ich mich mit dem Schäfer bestimmt zehn Minuten über unterschiedlichste Themen, sogar über Politik. Das klappt immer besser, aber bald werde ich auf Spanisch umstellen müssen.

Ich bin im französischen Baskenland. Überall sehen die Häuser fast gleich aus. Neben den sichtbaren Steinen an den Ecken und um Türen und Fenster herum fallen vor allem die rotbraun gestrichenen Fensterläden und andere Holzteile auf. Kaum ein Haus fällt hier farblich aus der Reihe.

Bereits heute tut der Schatten in den weitgehend noch kahlen Mischwäldern gut. Die Wege sind häufig asphaltiert, aber auch Schlamm und Matsch bleiben den Pilgern nicht erspart. Dafür erfreut der häufig zu genießende Panoramablick auf die Pyrenäen das Herz.

In beziehungsweise kurz vor Ostabat kommen drei wichtige französische Pilgerwege nach Santiago zusammen. Angeblich konnten im Mittelalter in diesem Dorf mehrere tausend Pilger beherbergt werden. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Natürlich darf man sich nicht vorstellen, dass es mehrere tausend Betten gab. Ich interpretiere die Aussage meines Pilgerführers so, dass mehreren tausend Menschen ein halbwegs trockener und sicherer Platzt von einem Quadratmeter auf Binsen oder Stroh zur Verfügung gestellt werden konnte.

Die letzte größere Steigung bleibt mir erspart: Auf einem extrem matschigen Weg höre ich von hinten ein Gefährt näherkommen. Der Bauer fragt mich, ob er mich mitnehmen könne, und ich sage sofort ja. Gerne hätte ich uns auf dem Trecker fotografiert, aber ich hatte buchstäblich alle Hände voll zu tun, um mich festzuhalten. Eine Unterhaltung ist bei dem Lärm leider kaum möglich. Der Bauer, ich glaube, sein Name ist Marcel, nimmt mich bis Saint-Jean-le-Vieux mit, wo er das Vehikel in eine Werkstatt bringt. Die gelaufene Strecke misst heute also nur etwa 32 bis 34 Kilometer.

Pilgeralltag: Habe ich etwas zu waschen und gibt es in der Herberge eine Möglichkeit dazu? Wenn es nur Unterwäsche und Socken sind, kann deren Reinigung im Waschbecken per Handwäsche erledigt werden. Manchmal steht aber auch eine Waschmaschine oder sogar ein Trockner gegen geringe Gebühr zur Verfügung. Wenn genügend Sachen zusammenkommen, nutze ich diese Möglichkeit gerne. Heute ist das nicht der Fall, denn ich habe ja vorvorgestern gewaschen. Danach beginnt in der Regel das Abendprogramm, was sehr unterschiedlich aussehen kann.

Das Viererzimmer teile ich heute mit dem Koreaner Kim und den beiden Kalifornierinnen Robin und Eyleen. Im Anschluss streife ich durch das Dorf. Hier treffe ich auch Nicolas und Simon wieder: Die beiden haben ihre Pläne, die Pyrenäen von Westen nach Osten zu durchqueren, aufgegeben und laufen stattdessen auf dem Jakobsweg nach Santiago und Finisterre. Ich lade die beiden zu einem Wiedersehensbier ein, und wir freuen uns darüber, uns erneut über den Weg gelaufen zu sein. Nachdem das Mittagessen entfallen ist, lasse ich es mir heute bei einem Salat und gegrillter Entenbrust gutgehen. Ich muss Kräfte sammeln für die morgige Etappe nach Roncesvalles. Danke für das freudige Wiedersehen mit den beiden jungen Franzosen.