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(65) Wow, was für eine Herberge!

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Pilgeralltag, Projekt, Tagebuch
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Montag, 16. April 2018: Navarrenx – Aroue (19,5 km)

Ob ich in der vergangenen Nacht geschnarcht habe, weiß ich nicht. Meine beiden Zimmergenossinnen wünschen mir einen guten Morgen und reden noch mit mir. Geschlafen habe ich tatsächlich sehr gut, obwohl ich – nicht zuletzt wegen des Weingenusses am Vorabend – keine Schmerztablette genommen habe. Das Knie spüre ich kaum, weshalb ich auch jetzt auf die Chemiekeule verzichte.

In der Nacht hat es stark geregnet, und auch jetzt ist es noch stark bewölkt und der Himmel weint. Das kurze Stück bis zur einzigen geöffneten Bar schaffe ich aber auch ohne Regencape. Ich bin einer der ersten Gäste und bestelle einen Kaffee. Frühstück wird hier nicht angeboten, aber ich bekomme dennoch einige Stücke Baguette mit Butter; ich muss wohl sehr hungrig aussehen. Zwei Tassen Kaffee später mache ich mich mit Cape auf den nassen Weg. Es ist inzwischen schon elf Uhr.

Beim Verlassen des Dorfes nutze ich die Gelegenheit, die gewaltigen Befestigungsanlagen zu bestaunen. Die fünfeckige Dachkonstruktion des Torhauses ist schon etwas Besonderes. Über eine Brücke, die mit drei Bögen den Gave d’Oloron überspannt, verlasse ich Navarrenx. Bevor ich mich auf den Camino mache, kaufe ich in einem etwas abseits gelegenen Supermarkt noch ein. Heute werde ich kaum noch Gelegenheit dazu haben, denn es ist Montag. Ob es heute Abend etwas zu Essen gibt, ist auch noch nicht sicher.

Schon bald stehe ich vor einer größeren Herausforderung: Ich muss einen normalerweise schmalen Bach, der aufgrund des starken Regens deutlich angeschwollen ist, trockenen Fußes überqueren. Schon in meinem Pilgerführer steht zu lesen: „Zahlreiche Bäche und Flüsse durchziehen die Region.“ Ich brauche drei Schritte, um das Hindernis zu überwinden, also muss ich mir zwei geeignete Stellen aussuchen, wo ich meine Füße platzieren kann. An anderen Stellen wäre es auch mit etwas Anlauf und einem beherzten Sprung getan, aber dort ist kein Platz für den Anlauf, und auch die Landezonen sehen sehr klein und rutschig aus. Das versuche ich besser nicht. Also suche und finde ich noch mehrere abgebrochene Äste und vergrößere dadurch die Trittfläche im Wasser. Die Überquerung funktioniert auf Anhieb.

Weiter geht es über Schlammwege und durch einen Wald, der einer Sumpflandschaft gleicht. Mehrmals entdecke ich im lichten Forst merkwürdige Baumhäuser, manchmal hoch in den Baumkronen. Als der Regen aufgehört hat, dringt Vogelgezwitscher an mein Ohr. Wenn ich die Schilder in der Nähe dieser gut getarnten Gebilde richtig interpretiere, dienen sie der Vogelbeobachtung beziehungsweise der Aufnahme von Vogelstimmen. Es gibt auch Vorrichtungen, an denen offensichtlich Mikrofone in die Höhe gezogen werden können.

Weiter laufe ich auf Straßen und Feldwegen, auf denen ich doch abermals das Cape überziehen muss. André, ein Pilger aus Montpellier, will mir zur Hilfe eilen und staunt nicht schlecht, als es mir mit einem Wurf gelingt, das rote Monstrum über mich und den Rucksack zu stülpen. Kurz bevor der Weg erneut auf einen weniger angenehmen Pfad abbiegt, sehe ich winzige Ponys, die mir gerade mal bis zur Hüfte reichen. Die Minipferde nehmen aber von mir kaum Notiz.

Pilgeralltag: Ankunft in der Herberge. Häufig werden den Pilgern Tee oder Wasser mit Sirup angeboten. Erstmal ankommen und ausruhen. Dabei können auch die finanziellen Dinge geregelt werden und, sehr wichtig, der Pilgerausweis abgestempelt werden. Die Präsentation der Herberge erfolgt durch die jeweiligen Betreiber, auch Hospitaleros genannt. Hier ist der Empfang durch Simone sehr herzlich. Nachdem ein Bett ausgewählt beziehungsweise zugewiesen wurde, ist es Zeit für die ausführliche Körperpflege. An das Abtrocknen mit dem Mikrofaserhandtuch werde ich mich wohl nie ganz gewöhnen. Eine frische Unterhose ist prima, und alle zwei Tage gibt es auch frische Socken und andere Kleidung. Manchmal muss ein Shirt auch länger halten. Jetzt wird der Schlafsack auf dem Bett ausgerollt und schon wieder einiges eingepackt. Bloß nicht die Sachen im Zimmer oder der ganzen Herberge verstreuen.

Bei meiner Ankunft in der Herberge „Ferme Bohoteguia“ werde ich von Simone sehr herzlich begrüßt. Sie zeigt mir alle Einrichtungen der Herberge und ist erstaunt, dass jemand, der um diese Zeit hier ist, in Deutschland gestartet ist. Wir machen sofort ein Selfie mit ihrem Handy und anschließend eines mit meinem. Hier ist alles fantastisch, der Sanitärbereich ist sauber, es gibt größere und kleinere Zimmer, und man kann seine Wäsche waschen und trocknen lassen. Neben einem großen Speiseraum kann der Pilger hier auch fast alle benötigten Sachen einkaufen. Das Angebot reicht von Brot, Käse, Wurst über Fertiggerichte, Getränke und andere Lebensmittel bis hin zu Rasierschaum und Taschentüchern. Hier bleiben keine Wünsche offen.

Das Abendessen ist gigantisch. Alle Gerichte werden auf dekorierten Tellern serviert, und es gibt Stoffservietten. Gemüsesuppe mit Croutons, Wiener Schnitzel vom Kalb mit Kartoffel-Gemüse-Pastete, gegrillter Tomate und Salat. Danach können die Gäste aus circa zehn verschiedenen Sorten Käse wählen, bevor der Nachtisch gereicht wird: Ein Teller mit einer Bananentarte, einem kleinen Schokokuchen und einem Schälchen Vanillecrème. Ich bin begeistert. Danke Simone und Team.