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(64) Laufen, laufen, laufen

  • Frank Derricks
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Sonntag, 15. April 2018: Arthez-de-Béarn – Navarrenx 31,6

Schon um kurz nach halb acht verlasse ich die Herberge. Auf dem Weg zur Bäckerei kann ich erneut ein Foto der Pyrenäen machen. Jetzt werden gerade die schneebedeckten und somit in zartes Weiß gehüllten Gipfel der höchsten Berge von den ersten Sonnenstrahlen sanft gestreichelt. Ich verwöhne meinen Gaumen mit einem frischen Kaffee und einem leckeren pain au chocolat; das hatte ich schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr. Hier bekomme ich auch ein frisches, mit Schinken und Käse belegtes Baguette-Sandwich.

Die Sonne hebt sich langsam weiter über den Horizont; noch werfe ich einen langen Schatten. Zunächst laufe ich fast eben auf der Höhe und habe wunderbare Ausblicke ins Tal, wo der Nebel noch über dem Fluss „Gave de Pau“ liegt. Dieser ist nach acht Kilometern auch erreicht und will nebst einer Autobahn und einer zweigleisigen Bahnstrecke überquert werden. Hier unten zieht sich der Weg, daher freue ich mich sehr über den Anblick eines einzelnen Rehs auf einem Feld, auf dem noch die vertrockneten Reste des Mais vom vergangenen Jahr stehen. Das Tier scheint mich erst sehr spät bemerkt zu haben, denn als ich es entdecke, sind wir keine 50 Meter voneinander entfernt. Schnell wird die Entfernung zwischen uns größer, aber immer wieder bleibt das Reh stehen und sieht sich nach dem Zweibeiner um, der es aufgeschreckt hat.

Die nächsten 15 Kilometer sind ein einziges Auf und Ab, es sind immer wieder kleinere Höhenzüge zu erklimmen. Der Jakobsweg verläuft dabei auf guten Wegen und kaum befahrenen Straßen vorbei an Wiesen und Feldern, und Sauvelade ist die einzige Ansiedlung seit der Flussüberquerung. Hier gibt es ein kleines Café, in dem ich Pause einlege. Hier lerne ich auch ein deutschsprechendes Pärchen kennen. Sie stammt aus Lauffen am Neckar, wohnt aber schon seit 20 Jahren in der Nähe von Paris. Gemeinsam mit dem Mann Ihrer Freundin läuft sie ein Stück des Camino als All-inclusive-Pauschalpilgerin. Die beiden haben einer Agentur nur den Startort und die Anzahl der Tage genannt. Die Hotels und Pensionen sind inklusive des Abendessens gebucht, der Streckenverlauf ausgedruckt, und das Gepäck wird transportiert.

Das Örtchen Méritein ist sauber und mit bunten Fähnchen geschmückt, wirkt aber verlassen. Fast an jedem Haus sind die Fensterläden geschlossen. Die letzten Kilometer vor Navarrenx, dem Dorf mit der fast komplett erhaltenen Befestigungsanlage aus dem 16. Jahrhundert, sind wieder zäh. Einfach laufen, laufen, laufen. Auch hier ist nicht viel los. In einer Bar bezahle ich für die Übernachtung in der kommunalen Herberge 13 Euro und bekomme einen Stempel in den Pilgerpass. Die Herberge ist einfach, funktionell und sauber. Den Nachmittag und Abend verbringe ich in der Taverne de St. Jacques, wo ich auch zu Abend esse. Dabei trinke ich mehrere kleine Gläser Rotwein; in der kommenden Nacht kann ich bestimmt sehr gut schlafen.

Zuvor buche ich allerdings noch ein Hotelzimmer in León, wohin Hermine anreisen wird, um mich auf dem letzten Stück des Weges zu begleiten. Ihr Flug ist bereits für den 14. Mai gebucht; heute ergattere ich zwei Direktflüge von Santiago zurück nach Zürich für zusammen 150 Euro inklusive Gepäck und Priority-Sitzplatz. Auch für Anne-Liese, die Schweizerin, deren Namen ich am letzten Donnerstag versehentlich mit Elisabeth angegeben habe, buche ich einen günstigen Flug von Toulouse nach Genf. Sie reist am Donnerstag von Saint-Jean-Pied-de-Port aus in die Heimat.