(63) Wundervoll

  • Frank Derricks
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Samstag, 14. April 2018: Arzacq-Arraziguet – Arthez-de-Béarn 30,7

Pilgeralltag: Aufstehen, Wasser ins Gesicht und Zähneputzen, wie jeden Morgen. Den Schlafsack einrollen und alle anderen Habseligkeiten im Rucksack verstauen. Habe ich das Ladegerät und alle Kabel? Ja. Schlafsack, Regencape, Gamaschen sowie Toiletten- und Apothekenbeutel kommen in das untere Fach. Die dreckige Wäsche ganz unten ins Hauptfach und die sauberen Sachen in den Vakuumbeutel, der ebenfalls ins große Fach wandert. Laptop, Schlafshirt und Handtuch verstauen und obendrauf noch der Beutel für „Sonstiges“, das Tütchen mit dem Technikgerümpel und die Weste. Vor dem Verlassen der Herberge brauche ich nur noch die Schlappen griffbereit im vorderen Fach verstauen. So sieht die Morgenroutine aus. Danach gibt es häufig ein französisches Frühstück mit Kaffee.

Das entfällt heute, da ich in einer kommunalen Herberge übernachtet habe. Klar, ich hätte mir vorher alles einkaufen können und in der Küche des Gemeinschaftsraumes zubereiten können. Ich bevorzuge da einen „richtigen“ Kaffee und habe Glück: Eine der drei Bars/Restaurants des Ortes unter den Arkaden hat bereits geöffnet. Zu essen bekomme ich hier leider nichts, und so geht es ohne Frühstück auf den Jakobsweg.

Das Wetter ist fantastisch. Der Himmel ist blau, und die Sonne geht gerade über dem kleinen Stausee auf. Der Weg ist wieder einmal schlammig, und ich bin froh, als ich sehe, dass er vom See nach rechts wegführt. Allerdings – ich komme vom Regen in die Traufe. Jetzt geht es bergauf, und ich muss jeden Schritt mit Bedacht wählen, um nicht auszurutschen. Oben angekommen erwartet mich die Belohnung: Ein atemberaubender Ausblick auf die schneebedeckte Bergkette der Pyrenäen, zum Greifen nah.

Jetzt laufe ich auf steinigen Wegen 150 Höhenmeter bergab, um diese wenig später auf der anderen Seite des Tals wieder erklimmen zu dürfen. Das Wetter ist herrlich, die Ausblicke fantastisch, das hebt meine Laune. Das Pilgern läuft prima und auch das Knie meckert nicht. Alles wie auf Wolken. In einer Bäckerei habe ich heute Morgen noch ein großes Sandwich gekauft, heute auch mit Zierrat belegt. An einem Picknickplatz in der Sonne verzehre ich die erste Hälfte mit Blick auf die Berge. Es ist wundervoll.

Im Dorf Uzan hat jemand ein unübersehbares, rotes Zelt aufgebaut. Hier können sich die Pilger an selbstgebackenem Kuchen, kalten Getränken, heißem Tee oder Kaffee laben und eine Verschnaufpause einlegen. Ein Spendenkästchen steht auch bereit. Das ist eine ganz tolle Geste, danke! Ich treffe hier auch die drei Pilger aus der Bretagne wieder. Und Laurent, der Rennpilger und Zimmergenosse, hat hier eine längere Pause eingelegt. Später erfahre ich, dass er schnelles Laufen von seinem Beruf gewohnt ist: Er ist Postbote.

Um 15 Uhr erreiche ich das auf einem weiteren Hügel gelegene Arthez-de-Béarn. Das langgestreckte Dorf im Département Pyrénées-Atlantiques gehört noch zum Gebiet der historischen Provinz Béarn. Die Menschen hier sprechen für meine Ohren nur schwer verständlich, und ich bin froh, wenn ich an solche Zeitgenossen gerate, die des Hochfranzösischen mächtig sind. Die Herberge öffnet erst in anderthalb Stunden, deshalb setze ich mich auf die Terrasse der einzigen geöffneten Bar. In der ebenfalls kommunalen Herberge angekommen, kann ich nicht nur duschen, sondern auch die Wäsche waschen und trocknen. Das Abendessen besteht heute aus dem restlichen Baguette und zwei Schokoriegeln. Das muss reichen.

Ich bin jetzt dreistellig. Das heißt, bis zum Cap Finisterre sind es weniger als 1.000 Kilometer. Na, das klingt doch schon gar nicht mehr so schlimm! Noch besser ist, dass ich mit dem heutigen Tag bereits 1.545 Euro für die Schmetterlinge erlaufen habe, also einen Euro pro Kilometer. Hoffentlich kommen noch viele weitere Spenden dazu. Das geht hier inzwischen auch direkt online per Kreditkarte oder per Lastschrift, ganz ohne Internetbanking und TAN.

In der alternativen Bar von heute Nachmittag trinke ich noch einen Absacker und bin früh wieder in meiner heutigen Bleibe. Hier gibt es jetzt nur noch Wasser. Ich bin dankbar für diesen herrlichen Tag, an dem ich bei großartig sommerlichem Wetter mehr über den Weg geschwebt als gelaufen bin.