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(55) Von Frankreich in die Gascogne

  • Frank Derricks
  • Projekt, Tagebuch, Test
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Freitag, 6. April 2018: Moissac – Saint Antoine 34,4

Um ein Uhr war ich wieder wach und habe danach immer nur sporadisch geschlafen. Wahrscheinlich mehr, als ich denke, aber ausgeruht fühle ich mich nicht, als ich mich um viertel vor sieben in meinem oberen Stockbett aufrichte. Drei der vier Damen im Sechserzimmer sind bereits aufgestanden. Es ist noch dunkel, aber am Horizont ist der Morgen schon deutlich zu erkennen. Der Sonnenaufgang über der Stadt ist fantastisch.

Das Frühstück nehmen die bereits erwachten Pilger gemeinsam mit Anne auf der beheizten und mit Zeltplanen vor dem Wind geschützten Terrasse ein. Es ist unglaublich: Neben den sechs Betten im Gemeinschaftsschlafraum wird auch ein Doppelzimmer vermietet. Außerdem haben heute Nacht noch vier weitere Gäste hier übernachtet, ich frage mich nur, wo die alle geschlafen haben. Die Gastfreundschaft von Anne ist scheinbar grenzenlos. Ich ziehe zum Abschied noch einen Zettel mit einem Spruch, der mich auf dem Jakobsweg begleiten soll. „Gehe Deinen Weg“ steht dort. Das werde ich mehr als früher beherzigen, auch nach meiner Rückkehr.

Aus Moissac hinaus laufe ich an einem kleinen Kanal entlang, welcher parallel zum Fluss Tarn verläuft, um diesen später auf einer Brücke zu überqueren. Der Tarn mündet kurz nach der Stadt in die Garonne, welche ihrerseits nach Bordeaux in den Atlantik fließt. Ich wähle die schönere aber anstrengendere Route über die Hügel oberhalb der Flüsse. Die Wege sind hier häufig wieder sehr matschig. Es fällt oft schwer, sich auf den Füßen zu halten. Bei jedem Schritt rutscht der Fuß zu irgendeiner Seite ab, da sich das Profil der Wanderschuhe sofort mit der zähen und lehmigen Masse zusetzt.

Zu allem Überfluss habe ich wohl irgendwo einen Wegweiser übersehen und steige einen Weg empor, der keiner ist. Der Ausblick von hier oben entschädigt für die Mühe und ist atemberaubend. Von der Garonne im Vordergrund schweift der Blick über die weite flache Landschaft der Gascogne bis zum Horizont. Auf dem Bild kaum aber in Wirklichkeit deutlich besser zu erkennen erheben sich dort die schneebedeckten Gipfel der Ostpyrenäen mit dem Pico de Aneto (3.404 m) als höchster Erhebung.

Bei herrlichem Sonnenschein laufe ich längst im Poloshirt, auch wenn der Wind zugenommen hat. Es geht bergab und bergauf, auf schlammigen Wegen. In Malause mache ich eine Kaffeepause und laufe von hier an einem weiteren Kanal, welcher wiederum parallel zu einem großen Kanal verläuft, immer mit Blick auf die dampfenden Kühltürme der beiden Meiler des Kernkraftwerks von Golfech. Ich folge dem Pfad wie in meinem Pilgerführer beschrieben, nur um dann festzustellen, dass ich den letzten halben Kilometer wieder auf demselben Weg zurückgehen muss, da mir ein Zugang zur Brücke hier versperrt ist.

Nach dem Umweg überquere ich beide Kanäle auf einer Brücke und erreiche circa vier Kilometer später eine weitere Brücke über die Garonne. Diese bildet die Grenze zur historischen Region der Gascogne. Noch Mitte des letzten Jahrhunderts sprachen die alten Leute beim Überqueren des Flusses davon, dass sie nach Frankreich gingen. Ich hingegen laufe in die entgegengesetzte Richtung und steige steil nach Auvillar empor, wo ich die Mama mit den breiten Hüften und ihre Tochter erschöpft auf einer Bank antreffe. Kein Wunder sind die beiden so fertig, habe ich sie doch heute Morgen noch auf einer Bank in Moissac gesehen. Wie haben die das nur so schnell geschafft?

Nach einer Colapause mache ich mich bald wieder auf den Weg. Es sind noch fast zehn Kilometer bis zu meinem Etappenziel, der Fèrme Villeneuve, hinter Saint Antoine gelegen. Als ich an einer Plastiksitzgruppe mit Tisch aus demselben Material vorbeikomme, mache ich erneut eine Pause und verzehre einen Teil des im letzten Ort gekauften Baguettes mit Thunfisch. In der Dose, derer ich drei seit mehreren Tagen mit mir herumschleppe, ist aber mehr Öl als Fisch. Zum Glück habe ich noch einen Plastiklöffel. Mit dem ich die Masse auf das Brot schaufeln kann.

Meine Herberge, ein kleines Haus neben einem ehemaligen Bauernhof, erreiche ich gegen 17 Uhr. Renaud bereitet mir einen herzlichen Empfang und bietet mir an, gegen eine kleine Spende die Wäsche zu waschen. Er begleitet mich zum Nebenhaus und zeigt mir voller Stolz unter anderem die Armaturen der Firma Hansgrohe aus Schiltach im Schwarzwald. Er ist ganz aus dem Häuschen, als ich im erkläre, dass ich ganz in der Nähe auf meinen Camino gestartet bin.

Den Apéritif und das Abendessen genieße ich gemeinsam mit Christiane und Nicole, die ich bereits aus Moissac kenne. Außerdem übernachtet auch Michel hier, den ich am Morgen am Kanal überholt habe. Rose-Anne hat ein äußerst leckeres Abendessen mit Suppe und Kalbskotelett in Kirschsauce bereitet und zum Abschluss gibt es Mousse au Chocolat und einen Kaffee, lecker! Das hier ist Pilger-Luxus und im Vergleich nicht viel teurer als zum Beispiel die Übernachtung in der Herberge in Conques.