Freitag, 6. April 2018: Moissac – Saint Antoine 34,4
Um ein Uhr war ich wieder wach und habe danach immer nur sporadisch geschlafen. Wahrscheinlich mehr, als ich denke, aber ausgeruht fühle ich mich nicht, als ich mich um viertel vor sieben in meinem oberen Stockbett aufrichte. Drei der vier Damen im Sechserzimmer sind bereits aufgestanden. Es ist noch dunkel, aber am Horizont ist der Morgen schon deutlich zu erkennen. Der Sonnenaufgang über der Stadt ist fantastisch.
Das Frühstück nehmen die bereits erwachten Pilger gemeinsam mit Anne auf der beheizten und mit Zeltplanen vor dem Wind geschützten Terrasse ein. Es ist unglaublich: Neben den sechs Betten im Gemeinschaftsschlafraum wird auch ein Doppelzimmer vermietet. Außerdem haben heute Nacht noch vier weitere Gäste hier übernachtet, ich frage mich nur, wo die alle geschlafen haben. Die Gastfreundschaft von Anne ist scheinbar grenzenlos. Ich ziehe zum Abschied noch einen Zettel mit einem Spruch, der mich auf dem Jakobsweg begleiten soll. „Gehe Deinen Weg“ steht dort. Das werde ich mehr als früher beherzigen, auch nach meiner Rückkehr.
Aus Moissac hinaus laufe ich an einem kleinen Kanal entlang, welcher parallel zum Fluss Tarn verläuft, um diesen später auf einer Brücke zu überqueren. Der Tarn mündet kurz nach der Stadt in die Garonne, welche ihrerseits nach Bordeaux in den Atlantik fließt. Ich wähle die schönere aber anstrengendere Route über die Hügel oberhalb der Flüsse. Die Wege sind hier häufig wieder sehr matschig. Es fällt oft schwer, sich auf den Füßen zu halten. Bei jedem Schritt rutscht der Fuß zu irgendeiner Seite ab, da sich das Profil der Wanderschuhe sofort mit der zähen und lehmigen Masse zusetzt.
Zu allem Überfluss habe ich wohl irgendwo einen Wegweiser übersehen und steige einen Weg empor, der keiner ist. Der Ausblick von hier oben entschädigt für die Mühe und ist atemberaubend. Von der Garonne im Vordergrund schweift der Blick über die weite flache Landschaft der Gascogne bis zum Horizont. Auf dem Bild kaum aber in Wirklichkeit deutlich besser zu erkennen erheben sich dort die schneebedeckten Gipfel der Ostpyrenäen mit dem Pico de Aneto (3.404 m) als höchster Erhebung.
Bei herrlichem Sonnenschein laufe ich längst im Poloshirt, auch wenn der Wind zugenommen hat. Es geht bergab und bergauf, auf schlammigen Wegen. In Malause mache ich eine Kaffeepause und laufe von hier an einem weiteren Kanal, welcher wiederum parallel zu einem großen Kanal verläuft, immer mit Blick auf die dampfenden Kühltürme der beiden Meiler des Kernkraftwerks von Golfech. Ich folge dem Pfad wie in meinem Pilgerführer beschrieben, nur um dann festzustellen, dass ich den letzten halben Kilometer wieder auf demselben Weg zurückgehen muss, da mir ein Zugang zur Brücke hier versperrt ist.