(52) Laufen in Trance

  • Frank Derricks
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Dienstag, 3. April 2018: Cahors – Montcuq (34,2 km)

Ich bin allein in der Pilgerherberge zum Grünen Schmetterling in Cahors und habe einigermaßen gut geschlafen. Für das Frühstück steht alles bereit, auch die Kaffeemaschine ist bereits geladen. Das, was dort rauskommt, schmeckt allerdings scheußlich, und so mache ich direkt in Cahors in einem Bistro die erste Pause und genieße einen richtigen Kaffee. Meine Versuche, eine Bleibe in oder vor Montcuq zu finden, gestalten sich schwierig. Entweder ich erreiche niemanden oder die Herberge ist besetzt. Wie kann das sein: ich treffe kaum auf Pilger oder andere Wanderer und die Herbergen sind besetzt?

In der noch kaum besuchten, kleinen Markthalle kaufe ich eine Banane und ein Baguette als Wegzehrung. Käse, Schinken und Wurst habe ich ja noch. Außerdem trage ich seit zwei Tagen drei kleine Dosen Thunfisch in Öl mit mir rum; habe in Cajarc viel zu viel eingekauft. Mein Weg aus der Stadt führt mich zunächst zur und dann über die bekannte Brücke „Pont Valentré“, dem Wahrzeichen von Cahors.

Anfang des 14. Jahrhunderts wurde mit dem Bau der Pont Valentré begonnen. Das Vorhaben zog sich über 50 Jahre hin. Mit mehreren Fallgittern versehen war es möglich, ungebetene Stadtbesucher von Cahors fernzuhalten. Beim Durchschreiten des dritten Turmes frage ich mich, ob der Jakobsweg links oder rechts der Steilwand, welche mächtig und grau vor mir aufragt, entlangführt. Meine Augen weiten sich vor Entsetzen, als ich sehe, dass der schmale und mit unzähligen Stufen versehene Pfad direkt an der Klippe empor verläuft. Ohne Geländer oder andere Sicherung ist das für einen nicht schwindelfreien Menschen mit mäßigem Gleichgewichtssinn eine größere Herausforderung.

Nachdem der Aufstieg gemeistert und der Ausblick fotografisch festgehalten ist, geht es auch sogleich über die „Straße des rollenden Steines“ wieder bergab. Sonne und leichte Bewölkung wechseln sich ab, und ich laufe durch ein Trockental und anschließend wieder bergauf. Pilger sehe ich keine. In der Bar von Gilbert in Labastide-Marnhac mache ich eine kurze Kaffeepause, bevor der Weg wieder ruft. Über zehn Kilometer gibt es jetzt kaum nennenswerte Höhenunterschiede, auch die Landschaft bietet wenig Abwechslung. An einem Rastplatz nutze ich die Gelegenheit, im Sitzen mit Tisch mein frisches Baguette mit reichlich Schinken und Ziegenkäse zu verzehren.

Wie in Trance laufe ich nun, mal in Gedanken versunken und mal ganz ohne zu denken, durch die trockene Gegend. Auf den Feldern sehe ich mehr Steine als fruchtbare Erde. Welche Kulturpflanzen sind so genügsam, dass sie hier gedeihen? Ich bekomme es kaum mit, aber kurz bevor ich das auf einem Berg liegende und um eine ehemalige Festung gebaute Montcuq erreiche, wird die Landschaft grüner. Vorbei an frisch gepflügten oder bereits bestellten Feldern pilgere ich der Abendsonne entgegen.

Im netten Dorf angekommen, erfreue ich mich auf der Terrasse einer Bar an einem „Bière du arrivée“ und werde von einem etwa dreijährigen Jungen mit Küsschen begrüßt. Das Kind liebt es, jedem Gast einen guten Tag zu wünschen, manchem eben auch mit Willkommenskuss. Unterwegs habe ich online ein Zimmer in einem kleinen Hotel gebucht. Das Zimmer ist sauber und ich freue mich auf ein frisch bezogenes großes Bett und ein Frotteehandtuch.

Das Lokal im Erdgeschoss ist laut Auskunft meines Sitzplatznachbarn das einzige Restaurant, das geöffnet hat, daher ist kurz nach meiner Ankunft auch jeder Tisch besetzt. Mit dem Belgier, den ich bereits vor der Bar kennengelernt habe, unterhalte ich mich ausführlich. Das klappt mit dem Französisch von Tag zu Tag besser. Also wende ich die nach über dreißig Jahren wieder geweckten Sprachkenntnisse gleich bei den Tischnachbarn zur Rechten an. Auch sie kommen aus Belgien und finden mein Projekt ganz fantastisch. Nach einem langen Tag mit 34 Kilometern falle ich um kurz vor elf in die Federn und genieße es, ohne Schlafsack zu nächtigen.