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(50) Alleine aber nicht einsam

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Sonntag, 1. April 2018: Cajarc – Bach (33,1 km)

Es ist noch finster, und die Sterne funkeln am klaren Himmel, als ich um viertel vor sieben aus dem Fenster sehe. Wenig später – ich decke gerade für alle vier Herbergsbewohner den Frühstückstisch – zeigt sich beim Blick nach draußen ein ganz anderes Bild. Nebelschwaden ziehen vom Fluss herauf und hüllen das Tal und die steilen dunkelgrauen Felsen des früheren Prallhangs in einen milchigen Schleier. Der Verlauf des Lot hat sich aber geändert; jetzt fließt der Fluss relativ gerade südlich des in der alten Flussschleife liegenden Dorfes vorbei Richtung Bordeaux.

Ich verlasse das Haus um viertel nach acht und laufe durch das Dorf, überquere die Bahnlinie von Capdenac nach Cahors und schließlich auch den Fluss. Nun gilt es, den Steilhang zu erklimmen und anschließend nochmals 200 Höhenmeter zu überwinden. Mehr oder weniger eben folge ich dem ausgeschilderten Jakobsweg, welcher wieder mehrmals deutlich von der in meinem Pilgerführer beschriebenen Strecke abweicht. Auf angenehmen Wald- und Feldwegen laufe ich meist zwischen teilweise stark bemoosten Trockenmauern durch die noch lichten und niedrigen Eichenwälder.

Nur langsam löst sich auch der Nebel auf, und die Sonne kommt durch. Als ich um halb eins das Dorf Limogne-en-Quercy erreiche, staune ich nicht schlecht. In diesem, keine tausend Einwohner zählenden, Dorf herrsch reges Treiben. Es ist Markttag, und die Straße ist beiderseits gesäumt von Obst- und Gemüseständen. Natürlich gibt es auch Backwaren, Eier, Käse, Fleisch und Wurst. Dazu noch Blumen, Körbe, Wein, Honig und andere regionale Erzeugnisse aus heimischer Produktion. Sogar die drei Lokale des Dorfes sind gut besucht, und ich habe Glück, dass gerade ein kleiner Tisch in der Sonne frei wird.

Nach dem Kaffee breche ich wieder auf, verstaue aber zuvor meine Jacke im Rucksack. Es ist fast sommerlich warm. Kurz nach dem Dorf komme ich an einem sogenannten Dolmen, einem steinzeitlichen Grabmonument aus mehreren Tragsteinen und einem darüber liegenden großen Steinblock, vorbei. Ich begrüße ein Radler-Paar, und nach einem kurzen Wortwechsel auf französisch setzen wir das Gespräch auf deutsch fort. Die beiden kommen aus Kaiserslautern, sind Frankreichliebhaber und machen öfter hier im südlichen Zentralmassiv Urlaub.

Vor lauter Erzählen vergesse ich ganz, das steinerne Zeugnis menschlichen Lebens beziehungsweise Sterbens abzulichten. Wieder auf dem Jakobsweg treffe ich auf eine etwa gleichaltrige Dame, welcher das Wandern offensichtlich schwerfällt. Auch sie antwortet auf deutsch und hat mich bereits vor einigen Tagen in Paris am Bahnhof gesehen. Ein Gespräch entsteht nicht, denn ich merke, dass die Dame lieber alleine sein will. Kurz vor meinem Tagesziel komme ich wieder an einem Buron, also an einer dieser runden Hirtenhütten, vorbei. Der Eingang ist glücklicherweise durch eine hüfthohe Steinplatte halb versperrt; ich wäre sonst in einen offensichtlich tiefen Brunnen gefallen.

Wenig später erreiche ich Bach. Vor der Kirche des kleinen Ortes trinke ich den letzten Schluck Wasser, welches ich heute unterwegs sogar aufgefüllt hatte und freue mich sehr, dass es in dem nur 50 Einwohner zählenden Dorf ein Restaurant gibt, das am Ostersonntag um halb fünf geöffnet hat. Auf der Terrasse des gemütlichen Lokals genieße ich im Halbschatten das kleine (0,25l) „Bière de l’arrivée“, das Ankunftsbier und mache mich anschließend auf den Weg zu meiner Herberge. Unterwegs hatte ich bei Cathy Huret ein Zimmer reserviert. Nach einem Umweg von zweieinhalb Kilometern und mehreren Telefonaten mit der Dame erreiche ich schließlich auch das von Pferdekoppeln eingerahmte kleine Haus. Ich bin der erste Gast in diesem Jahr.

Allen Leserinnen und Lesern des Blogs wünsche ich an dieser Stelle ein frohes Osterfest.