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Wegweiser, die ich liebe

(48) Rückkehr auf den Jakobsweg

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Freitag, 30. März 2018: Decazeville – Figeac (25,7)

Gestern Abend bin ich pünktlich um 19 Uhr in Viviez angekommen und wurde im Schloss empfangen wie ein Freund. Das Haus ist ausgebucht, aber ich habe gestern nach dem Besuch bei meinem Papa, dem es jeden Tag besser geht, das normalerweise nicht vermietete private Gästezimmer der Familie reserviert. Bald nach dem Abendessen verabschiede ich mich auf mein Zimmer, und bereits vor 22 Uhr fallen mir die Augen zu; der heutige Tag hatte für mich bereits um 4:45 Uhr begonnen.

Im schmalen Bett habe ich gut geschlafen und bin nach Morgentoilette und Dusche um acht Uhr beim Frühstück mit frisch gepresstem Orangensaft und einem gekochten Ei (vielleicht wegen Ostern?). Der Regen hat bereits aufgehört, und die Sonne kämpft sich langsam durch die Wolkendecke. Ich bin guter Laune und freue mich, wieder ein Pilgerdasein führen zu können. Justin – der Sohn von Annet und Wim – fährt mich zusammen mit seinem anderthalb Jahre jungen Filius nach Decazeville, wo ich wieder in den Camino einsteige.

In Livinhac-le-Haut, das trotz des Namens quasi im Tal liegt,kaufe ich noch zwei Bananen und einen Apfel für die gesunde Ernährung. Kurz nach dem Ort geht es wieder recht steil bergauf. Die Wege an sich sind heute sehr, sagen wir mal, abwechslungsreich. Mal laufe ich auf kleinen Teerstraßen, mal auf offensichtlich recht frisch angelegten Pfaden direkt daneben. Dann wieder genieße ich extrem matschige Feld- und Wirtschaftswege, welche manchmal vor lauter Wasser und Matsch kaum als solche zu erkennen sind.

Auch die Beschilderung des Jakobsweges weicht erstaunlich oft von der Route aus meinem Pilgerführer ab. Und dann komme ich an einen Wegweiser, wie ich ihn liebe: Er zeigt in zwei fast entgegengesetzte Richtungen. Ich zögere hier nicht lange, sondern entscheide mich schnell für eine Route: Die Via Podiensis – einer der vier historischen Jakobswege in Frankreich – deckt sich heute weitgehend mit dem französischen Fernwanderweg GR 65 und führt von Le Puy-en-Velay in der Auvergne nach Saint-Jean-Pied-de-Port in den Pyrenäen. Daher wird der Jakobsweg meist nicht gesondert ausgezeichnet, sondern die Pilger folgen der weiß-roten Beschilderung.

Nach ca. zehn Kilometern beginnt es zu regnen, und ich stülpe mir an der Gîte Lacoste (ja, Basti, es gibt hier spezielle Herbergen für Dich 😉 ) mein knallrotes Regencape über. Der Niederschlag hält sich in Grenzen, also packe ich das Ding bereits nach anderthalb Stunden und nach einer Kaffeepause in Saint-Félix wieder ein. Nach drei weiteren Kilometern kommt der Nässeschutz allerdings schon wieder zum Einsatz und bleibt bis Figeac übergestülpt. Auch Christian und Jacques, zwei französische Pilger, die ich unterwegs getroffen habe, laufen in Regenkleidung.

Jetzt geht es bis zur schmucken Mini-Stadt Figeac immer bergab, manchmal auch recht steil. Der Regen hat schnell wieder aufgehört, und die Sonne scheint zwischenzeitlich durch die Wolkenlücken. Kurz vor dem Etappenziel hole ich Christian wieder ein. Ihm schmerzen seit zwei Tagen die Füße sehr, so läuft er nach eigenen Angaben wie eine Schnecke. Gemeinsam erreichen wir die Herberge „Le Coquelicot“ (Klatschmohn) und ich finde hier auch ohne Reservierung noch einen Schlafplatz.

Wir werden von Marie sehr herzlich empfangen und trinken marokkanischen Pfefferminztee zum selbstgebackenen Kuchen. Nach der Dusche mache ich mich auf den Weg, um die 10.000 Einwohner zählende Stadt zu erkunden. Hier ist Leben auf den Straßen. Es gibt viele Geschäfte, Cafés, Restaurants und nette Bars – kein Vergleich mit der heruntergekommenen Stadt, in der ich heute Morgen aufgebrochen bin. Zwei der Café-Kneipen besuche ich, aber jedes Mal gibt es keinen freien Tisch; also muss ich sprechen, französisch, um einen Sitzplatz zu bekommen. Wo kommen denn all diese, teilweise jungen und häufig gut gelaunten, Menschen her? Das können kaum alles Touristen sein.

Die Schmetterlinge treffen sich heute nicht, und deshalb entfällt heute auch ein Telefonat mit den Kindern. Ich habe aber gestern eine ganz liebe Sprachnachricht aus der Kinderwerkstatt in Freudenstadt bekommen. Danke! Da ich außer einer Banane heute noch nichts gegessen habe, mache ich mich bei Einbruch der Dunkelheit auf den Weg durch die verwinkelten Gässchen von Figeac zu meiner Herberge. Ich freue mich sehr auf das aufgewärmte Chicken-Curry mit Reis, welches mir Annet mit auf den Weg gegeben hat. Meine Mitpilger haben das Haus nur zum Einkaufen verlassen und hier gespeist. Sie sind bereits auf dem Weg ins Bett, als ich eintreffe. Das ist jedoch für mich zu früh und so schreibe ich noch diesen Artikel und bin dankbar, die erste Etappe nach dem Wiedereinstieg problemlos geschafft zu haben.