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(38) Die Bestie des Gévaudan

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Mittwoch, 14. März 2018: Monistrol-d’Allier – La Clauze (20,8 km)

Zum ersten Mal auf dieser Pilgerreise habe ich im Schlafsack geschlafen und bin gut erholt. Es ist Mittwoch, und die einzige Bäckerei im Ort hat geschlossen. Es ist Michel sehr peinlich, dass er daran gestern nicht gedacht hat und es somit heute zum Frühstück keine Milch und kein  frisches Baguette, sondern nur „pain grillée“, ein doppelt gebackenes Brot gibt. Das ist wie die Hälfte eines Minibaguettes und hart wie Zwieback. Für uns ist es nicht schlimm, und wir erfreuen uns an Honig, Marmelade, frischem Obst, Tee und Kaffee ohne Milch.

Die Verabschiedung ist ebenso herzlich wie die gestrige Begrüßung. Punkt neun Uhr machen Natalia und ich uns auf den Weg Richtung Saugues. Es geht richtig steil nach oben, und ich darf meinen Blick während des Laufens nicht nach rechts ins Tal wenden, um nicht ins Schwanken zu geraten. Direkt am Wegrand fällt das felsige Gelände fast senkrecht ab. Nach der Besteigung der Statue Notre-Dame-de-France vorgestern ist das jetzt die nächste Herausforderung für einen Menschen, der nicht schwindelfrei ist.

Wir kommen an einer in eine Grotte gebaute Kapelle vorbei, welche leider nur am 22. Juli, dem Festtag der Maria Magdalena, Namenspatronin der Kapelle, geöffnet ist. Wir haben erst 150 Höhenmeter überwunden und somit noch nicht einmal ein Drittel des heutigen Aufstieges geschafft, als wir von Michel eingeholt werden. Er ist bereits um kurz nach sieben in Saint-Privat-d’Allier gestartet. Gemeinsam steigen wir unter der von außen wärmenden Sonne auf 1.100 Meter. Das Gepäck wiegt heute bei allen schwer, und keiner weiß so genau warum.

Sauges ist am frühen Nachmittag erreicht, und wir sind sehr froh, in einer geöffneten Bäckerei sogar drei Sitzplätze zu finden, um eine Rast einzulegen. Die Baguettes, welche wir hier kaufen, sind spärlich belegt, dafür aber teuer. Der kleine Himbeer-Schokoladen-Kuchen, welchen ich als Nachtisch erstehe, wird natürlich geteilt wie fast alles auf dem Jakobsweg. Pilger, welche sich in einer kleineren oder auch größeren Gruppe gefunden haben, teilen in der Regel fast alles.

Hier erzählen sich die Leute die Geschichte der „Bestie des Gévaudan“, eines großen Tieres, welches in den Siebzehnsechzigern bis zu 100 Menschen auf dem Gewissen gehabt haben soll. Viele Wölfe wurden als Bestie erlegt, aber das Morden ging weiter. Im Juni 1767 wurden zwei große Wölfe erlegt und es kehrte Ruhe ein in der nur dünn besiedelten Gegend des Gévaudan, die ungefähr dem Gebiet des heutigen Départements Lozère entsprach.

Der Jakobsweg führt uns weiter auf 1.100 Höhenmeter, und nach insgesamt fast 21 Kilometern kommen wir in La Clauze an – kurz bevor es anfängt zu regnen. Wir sind alle drei froh, endlich das Tagesziel, die Herberge von Michel, erreicht zu haben. Das Kaminfeuer brennt, und wir sind die einzigen Gäste. So bekommt Natalia heute ihr eigenes Zimmer, welches durch einen Vorhang vom Herrenzimmer getrennt ist. Noch ist es kalt hier oben, aber in der Nacht – so ab eins – wird das vor dem Schlafengehen geschürte Feuer endlich wirken. Zum Abendessen gibt es einen Salat als Vorspeise und anschließend gekochte Würste mit einem riesigen Kartoffel-Käse-Omelette.