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(37) Endlich andere Pilger

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
  • Ein Kommentar

Dienstag, 13. März 2018: Le-Puy – Monistrol-d’Allier (30,0 km)

Außer einem müden Pilger, welcher mir auf der Treppe der Kathedrale entgegenkam und mich wohl nicht bemerkt hat, habe ich keine wanderfreudigen und mit großem Rucksack bepackten Menschen in Le Puy angetroffen. Ich gehe trotzdem weiter und hoffe, in kommenden Tagen auf dem Weg endlich andere Pilger zu treffen. Le-Puy-en-Velay ist einer der beliebtesten Ausgangspunkte für Fernwanderungen in Frankreich, nicht nur für Pilger.

Bevor ich die Stadt verlasse, kaufe ich noch ein großes Sandwich und freue mich, dass der Regen der letzten Nacht aufgehört hat und die Sonne sich langsam durch die Wolkendecke kämpfen kann. Auf dem Weg aus der Stadt werde ich von einer Dame und wenig später von einem Herrn angesprochen, und beide gratulieren mir zu meinem großartigen Projekt: Jakobsweg von Freudenstadt nach Santiago.

An der Stadtgrenze treffe ich auf Alain, einen Herrn von 72 Jahren, welcher sich für den Jakobsweg engagiert. Es erzählt mich auch, dass der Wanderweg GR65, welcher gut ausgeschildert ist, verlegt wurde, um zwei Dörfer zu passieren, deren Bürgermeisterinnen dort jeweils auch Herbergen und Geschäfte betreiben. Alain zeigt mir auf einer Karte seines abgegriffenen, deutsch-sprachigen Pilgerführers den Verlauf des „wahren“ Caminos. Er spricht deutsch mit mir und erzählt, dass er mal für zwei Jahre in Deutschland gelebt hat. Vielen Dank für diese Hinweise.

Als ich gerade an der beschriebenen Abzweigung bin, ist plötzlich wieder Alain da und geht ein Stück mit mir, bevor er sich wieder auf deutsch verabschiedet. Die Muschelzeichen sind hier häufig übermalt oder entfernt worden, um alle Hinweise auf den ursprünglichen Verlauf des Weges zu vernichten. Daher weiche ich auch von diesem ab und während ich noch etwas unschlüssig auf mein Handy schaue, ob ich noch in der richtigen Richtung unterwegs bin, sehe ich jemanden hinter mir winkend auf mich zu rennen. Es ist Alain, der wieder aus dem Nichts auftaucht und mich erneut ein Stück zurück auf den rechten Weg begleitet.

Wenig später, kurz vor Bains mit seiner alten Kirche, schaue ich auf dem Weg zurück und entdecke zwei Menschen mit Rucksack, welche nur ca. 100 Meter von mir entfernt sind. Der blaue Mensch winkt mir sogar zu. Ich bleibe sofort stehen, winke zurück und freue mich, endlich andere Wanderer zu treffen. Der rote Mensch ist Michel, ein etwa gleichaltriger Franzose aus einem Ort an der Loire in der Nähe von Anger. Auch Natalia, die Pilgerin in blau, wohnt an der Loire in Tours. Wir begrüßen uns herzlich und laufen gemeinsam weiter.

In einem Bar-Café am Ortsausgang von Bains machen wir bei Kaffee und Kakao eine Pause und unterhalten uns prächtig. Beide sind erstaunt, dass ich bereits seit mehreren Wochen unterwegs bin und bis jetzt keinen anderen Pilger getroffen habe. Michel hat seine kleine Firma vor über einem Jahr verkauft und jetzt eine neue Herausforderung gefunden, der er ab dem Sommer nachgehen wird. Natalia kommt ursprünglich aus Polen, lebt aber seit 15 Jahren in Frankreich und spricht hervorragend die Landessprache. Sie arbeitet als Touristenführerin in einem Schloss an der Loire.

Bei herrlichem Wetter laufen wir weiter und machen kurz vor dem Erreichen des geographischen Höhepunktes mit 1.214 Metern eine kleine Rast in der Sonne. Es tut so gut, nicht mehr alleine zu laufen. Während wir unsere mitgebrachten Dinge verzehren, werden wir von sieben anderen Pilgern überholt. Ich kann es kaum fassen, diese Massen! Als wir zu dritt Saint-Privat-d’Allier erreichen, dürstet uns. In einer Bar machen wir erneut Rast und genießen ein Bier. Es schmeckt herrlich nach 23 Kilometern.

Michel verabschiedet sich hier, denn er hat bereits im voraus ein Bett in einer Herberge reserviert. Natalia und ich laufen weiter. Irgendwo verpassen wir wohl eine Abzweigung beziehungsweise ich schlage einen falschen Weg ein, und Natalia folgt mir. Es geht steil bergab durch den Wald, und zwischendurch überwinden wir ein kurzes Stück auf allen Vieren, bevor wir wieder einen gangbaren Weg erreichen, der uns auf die richtige Straße führt. Sieben Kilometer nach Saint Privat erreichen wir Monistrol-d’Allier und wollen nach insgesamt 30 Kilometern nur noch eine Herberge.

Das Dorf ist relativ hässlich, liegt in einem Tal und wird dominiert von einer Hochbrücke und einem Wasserkraftwerk. Direkt nach der alten, von Gustave Eiffel erbauten, einspurigen Eisenbrücke finden wir eine Unterkunft bei André, direkt im alten Brückenwärterhaus. Wir betreten eine Raum mit einem Ofen, einem Herd und einer Spüle, das ist wohl die Küche. Im Raum daneben stehen neben einem großen Tisch noch zwei Anrichten und mehrere Tiefkühltruhen, und der Fußboden hat schon länger keinen Besen geschweige denn einen feuchten Lappen mehr gesehen. Will ich hier bleiben?

André ist sehr freundlich und freut sich, dass wir bei ihm eingekehrt sind. Es ist das erste Jahr, dass er eine Herberge betreibt. Der Weg nach oben in unser Zimmer führt offensichtlich durch sein Schlafzimmer im Erdgeschoss, anschließend die Treppe hoch und erneut durch zwei, jeweils mit einem Doppelbett ausgestattete Räume. Eine weitere Treppe führt ins Dachgeschoss, welches mit zwei Stockbetten möbliert ist. Hier ist auch ein Badezimmer, das sich wohl alle Gäste teilen müssen. Es passt alles soweit, und da wir die einzigen Gäste sind, stellt das kein Problem dar. Zum Abendessen gibt es selbstgemachte Muschelsuppe und Pizza, nach einem langen Wandertag einfach herrlich. Es ist schon nach elf, als wir im inzwischen aufgeheizten Zimmer das Licht löschen und die Augen schließen.