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(29) Wieder was vergessen

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Montag, 5. März 2018: Saint-Haon-le-Château – Saint-Jean-Saint-Maurice-sur-Loire (21,2km)

Nach dem Frühstück verlasse ich die Pension gegen neun Uhr. Das Wetter ist herrlich und ich habe heute keine lange Etappe vor mir. Also streife ich noch etwas durch das nette mittelalterliche Dorf. Fast alle Häuser sind hier liebevoll restauriert und instandgehalten. Nach dem Besuch der Kirche stelle ich fest, dass ich mal wieder was in der Herberge der letzten Nacht vergessen habe. Diesmal ist es ein Headset mit Kabel und Ladegerät. Ich eile zur Pension zurück, doch niemand öffnet mir.

Beim Frühstück hatte ich mit dem Vermieter gesprochen und erfahren, dass er für Besorgungen nach Roanne fahren und nach spätestens zwei Stunden wieder zurück sein wollte. Also beschließe ich, in gut einer Stunde mein Glück nochmal zu versuchen. Auf der Suche nach einem geeigneten Platz zum Arbeiten gehe ich noch in der Mairie vorbei und lasse meinen Pilgerausweis abstempeln. Direkt gegenüber ist die Terrasse eines Restaurants und ich wähle diesen Platz an der Sonne. Um kurz vor elf Uhr klingle ich erneut an der Türe der Pension und habe Glück. Das vergessene Technikgerümpel ist schnell gefunden und ich kann mich auf den Weg machen.

Montags ist hier Sonntag. Es hat so gut wie kein Laden geöffnet. Das Grundnahrungsmittel der Franzosen, das Baguette, gibt es evtl. in einem Kiosk oder bei der Post zu kaufen. Auch Restaurants haben montags, häufig auch dienstags und manche sogar auch am Mittwoch geschlossen. Noch bin ich zwar nicht viel gelaufen aber trotzdem habe ich hunger und stehe genau in diesem Moment vor dem wahrscheinlich einzigen geöffneten Lokal im Umkreis von 20 km. An einem der letzten freien Tische kann ich mich niederlassen und bestelle das Tagesmenü. Croque Monsieur mit Salatbeilage, zartes Schweinefleisch in leckerer Sauce an Reis und „Brioche perdu“ mit Vanilleeis als Nachtisch. Inkl. Kaffee für 13,50 Euro. Ca. 15 Minuten nachdem ich hier eingetrudelt bin, ist das Bistro brechend voll. Mit den Tischen im Hinterzimmer und den Personen am Tresen sind es mindestens 60 Personen, die hier heute Mittag verköstigt werden.

Der Jakobsweg verläuft jetzt an den Hängen des westlichen Randes des Loiretales. Ab und zu sehe ich noch Weinberge, aber diese sind hier wesentlich seltener als im Burgund. Die Region, in der ich seit einigen Tagen unterwegs bin, heißt Auvergne-Rhône-Alpes und eine der regionalen Spezialitäten ist ein Käse, welcher halb aus Kuh- und halb aus Ziegenmilch hergestellt ist. Auf den ausgedehnten Weideflächen habe ich bereits viele Kühe gesehen, aber noch keine einzige Ziege.

Vor Saint-Alban-les-Eaux geht es recht steil bergauf und ich habe das Gefühl, dass immer dann, wenn es anstrengend wird, die Sonne hinter den Wolken hervorschaut und der Wind abflaut. Geht es wieder nach unten, wird es wieder schattig und windig. Statt Ziegen komme ich an Pferden und Lamas vorbei und das waren auch schon die tierischen Highlights des Tages. In Lentigny gibt es einen geöffneten Supermarkt und ich kaufe neues Haarwaschmittel und Hautcreme.

In dem ebenfalls mittelalterlich anmutenden Doppeldorf Saint-Jean-Saint-Maurice-sur-Loire (was für ein Name) irre ich auf der Suche nach einer Kneipe umher und falle Paul auf, welcher mich zu sich auf ein Bier einlädt. Das Bier kommt aus Deutschland und er und seine Frau haben begonnen, deutsch zu lernen. Ihre Heimatstadt hat eine Städtepartnerschaft mit Gerstetten bei Heidenheim. Endlich denke ich daran, die beiden freundlichen Menschen auf einem Foto zu verewigen.

Meine Bleibe zu finden gestaltet sich leider schwierig. Ich irre weiter durch den Ort, finde aber das über Airbnb gebuchte Zimmer nicht. Schließlich erreiche ich Noël und nach einigem hin und her treffen wir uns an der Kirche von St. Jean. Aus einem Abendessen in der Pizzeria gegenüber wird wohl nichts, denn sein Haus liegt zwei Kilometer außerhalb. Zunächst ärgere ich mich darüber, beschließe aber, mir davon nicht die Stimmung vermiesen zu lassen. Beim Abendessen (restliches Baguette mit Salami und Käse) quatsche ich noch mit Noël, einem gleichaltrigen weltoffenen Schreiner, und gehe heute früh ins Bett.