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(28) Schock im Tal der Loire

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Sonntag, 4. März 2018: Pouilly-sous-Charlieu – Saint-Haon-le-Châtel (26,7km)

Nach einem ausgiebigen Frühstück, wieder am offenen Kamin, Werde ich auch hier vom Gastgeber in den Ort gefahren, um mir die öden zwei Zusatzkilometer entlang der Landstraße zu ersparen. Danke! In einer Bäckerei kaufe ich noch ein Vollkornbaguette für unterwegs. Hier steppt am Sonntagmorgen um neun der Bär und der kleine Verkaufsraum reicht nicht aus, um alle Kunden zu fassen; die Schlange reicht bis auf die Straße. Das ist für die Dorfbewohner die Gelegenheit zur Kommunikation. Es gibt viele äußerst verlockend aussehende petit four aber „forêt noire“ (Schwarzwälder Kirschtorte) ist bereits ausverkauft.

Über eine, gefühlt kilometerlange Brücke überquere ich die Loire und ihre Auwiesen und erreiche auf der westlichen Seite des Flusses das Dorf Briennon. Ein schiffbarer Kanal führt deben der Loire hierher und mündet wenig später wieder in den Fluss. So gibt es hier auch einen kleinen Hafen mit einigen Hausbooten, in dem bereits jetzt reges Treiben herrscht.

Es am Rande eines Waldes auf einem teilweise matschigen Weh leicht bergauf. Dieser Wegzustand hätte mich vor einem Monat noch in Entsetzen versetzt, aber da habe ich nicht nur Schlimmeres gesehen, ich habe mich auch zu einem gewissen Teil daran gewöhnt. Auf dem Weg nach La-Bénisson-Dieu treffe ich doch tatsächlich auf Wanderer. Gemeinsam laufen wir in den nächsten Ort, dessen Kirche ein kunstvoll gedecktes Dach ziert. Die einzige Bar hat geschlossen und die beiden laden mich zu sich nach Hause auf einen Kaffee ein.

Ich bleibe noch etwas im Dorf, und mache nach dem Besuch der Kirche einen Abstecher nach Noailly. Familie Lager empfängt mich herzlich und der Kaffee duftet bereits. Dazu gibt es reichlich selbstgebackene Kekse. Wir unterhalten uns gut über das Projekt und zum Abschluss bekomme ich noch zwei Äpfel mit auf den Weg.

Wenig später habe ich den ausgeschilderten Jakobsweg wieder erreicht und laufe über angenehm zu gehende zwischen Feldern und Weiden und erreiche nach neun Kilometern das Dorf Saint-Romain-la-Motte. Hoffentlich hat hier ein Etablissement geöffnet, in welchem ich Unterschlupf finden kann. Es fängt leicht an zu regnen. Ich kann mein Glück kaum fassen, die Bar ist tatsächlich geöffnet. Ich betrete den nüchternen und ungemütlich hell beleuchteten Raum mit einem freundlichen „bonjour messieurs-dames“.

Jäh hat meine Freude ein Ende und meine Stimmung fällt ins bodenlose. Noch geschockt vom Erlebten bestelle ich wie in Trance einen Kaffee. Der jungen Frau hinter dem Tresen entgeht mein entsetzter Gesichtsausdruck nicht und auch Sie verdreht die Augen. Auf meinen Gruß beim Betreten des Lokals schmettert mir einer der drei anwesenden, nicht sonderlich intelligenten und offenbar unter Alkoholeinfluss stehenden … Scheiße nein! Einer der primitiven, dummen und besoffenen Kerle ruft mir ein „Sieg Heil“ zu. Mit sowas kann ich nicht umgehen und ignoriere das Geschehen, trinke schnell den Kaffee und verlasse diesen hell im Neonlicht strahlenden und trotzdem finsteren Ort wieder.

Da es inzwischen stärker regnet, ziehe ich in einem Carport das Cape wieder über. Auf den verbleibenden fast sieben Kilometern wird der Regen stärker und auch der Wind frischt auf. Das Laufen über die Straßen ist ätzend und meine Stimmung auch. In der heilen Welt, in der ich aufgewachsen bin, existierten solche Gestalten nicht. Dummerweise muss ich immer wieder erleben, dass die Realität eben anders aussieht.

In Saint-Haon-le-Châtel angekommen, wärme ich mich in einem etwas verkitschten aber gemütlichen Café auf. Alles, was hier steht und an den Wänden hängt, können die Kunden auch kaufen. Ich entscheide mich für den im Regal rumstehenden Wein, um das Erlebte zu vergessen. Der Wirt begleitet mich noch bis zu meiner Pension, wo ich den Abend verbringen werde, ohne das Haus nochmal zu verlassen. Der wunderbare Sonnenuntergang, den ich von meinem Fenster aus sehen kann, heitert mich wieder etwas auf.