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(26) Im Regen auf 1.000 Meter

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Freitag, 2. März 2018: La Verrèrie – Le Cergne (32,1 km)

Ich habe mal wieder schlecht geschlafen. Der Blick aus dem Fenster stimmt mich dennoch positiv. Der restliche Schnee auf den Wiesen und Feldern ist verschwunden. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich, dass es in Strömen regnet. Egal, jetzt frühstücke ich erstmal am Kamin mit selbstgemachten Marmeladen, Croissant, Baguette und Café au lait. Ja, ich mache das so, auch wenn ich damit ziemlich alleine bin. Bis jetzt tranken alle anderen um mich herum ihren Kaffee immer schwarz, evtl. mit Zucker.

Es hilft nichts, ich muss raus, auch wenn es regnet. Laut Wettervorhersage soll das in zwei Stunden aufhören, mal sehen. Also ziehe ich das knallrote Regencape über, was mir alleine kaum gelingen will. Mir fehlt jetzt nur noch ein Blaulicht auf dem Kopf und ich würde glatt als Feuerwehrauto auf zwei Beinen durchgehen. Grégoire, mein Vermieter, macht noch ein Bild von mir, damit Ihr alle sehen könnt, wie meine heutige Marschbekleidung aussieht.

Zunächst laufe ich am Waldrand entlang auf einem matschigen Weg bergauf und erreiche bereits nach ca. 600 m wieder den Jakobsweg. Das Wetter ist ungemütlich aber nicht mehr so kalt wie in den vergangenen Tagen. Je höher ich kommen desto mehr geht der Regen in Schnee über. Der bleibt jedoch nicht liegen. Auch heute muss ich sehr auf vereiste Stellen auf dem Weg aufpassen. Manchmal bleibt mir nichts anderes übrig, als eine großflächig vereiste Stelle zu überqueren, indem ich meine Füße zentimeterweise über das Eis schiebe und hoffe, mit den Stöcken genügend Halt zu finden.

Zeitweilig peitscht der Wind wie fahlgrauen Schwaden der Nässe über breite Schneisen bergauf und mir direkt ins Gesicht. Ich glaube, ich habe kurz vor dem Gipfel eine Abzweigung verpasst, denn den Aussichtsturm habe ich nirgends gesehen. Vielleicht lag es aber auch am dichten Nebel. In einer Hütte lege ich eine kurze Pause ein und bin froh, im Trockenen sitzen zu können. Danach geht es auch schon wieder 400 Höhenbeter nach unten. Warum bin ich dann erst hier hochgelaufen? Wäre das nicht auch anders gegangen?

In Propières kehre ich in einer Café-Bar ein und mache erneut eine Rast, diesmal mit Kaffee. Bei der Gelegenheit verstaue ich auch wieder mein Regencape denn inzwischen ist es trocken und die Sonne lugt ab und zu durch die Wolken. Bei Les Echarmeaux steht Napoleon im Kreisel auf der Passhöhe und schaut nach Süden. Ich habe keine Ahnung, was er ins Auge gefasst hat. Inzwischen ist es richtig warm geworden. Kilometerlang führt der Weg jetzt bei stetigem bergauf und bergab durch den Wald. Keine Menschenseele ist zu sehen.

Um kurz nach 15 Uhr klingelt mitten im Wald mein Handy. Juhu, es ist Freitag und Freitag ist Schmetterlingstag. Der Jubel und das Geschrei bedeuten Leben. Schön, dass es Euch gibt und dass Ihr immer großen Anteil an meinem Weg nehmt. Ich erzähle, dass ich die Kälte der letzten Tage gut überstanden habe, was es zum Essen gab und dass ich inzwischen schon über 850.000 Schritte gemacht habe. Zum Glück sind die meisten Kinder gesund und kaum noch welche erkältet. Ich freue mich immer über diese Verbindung nach Freudenstadt.

Doch da, was ist das? Es ist schneeweiß und von der Gestalt eines Schäferhundes. Was ist das für ein Tier? Wenn es ein Hund sein sollte, wo ist dann Herrchen oder Frauchen? Vielleicht ist es aber auch ein weißer Wolf. Noch während ich über das Tier nachdenke ist es so plötzlich wie es erschienen ist, auch schon wieder verschwunden. Später komme ich an eine offensichtlich bewohnte Hütte an einem kleinen See vorbei, aber auch hier ist kein weißer Hund zu sehen.

Ich laufe und laufe, aber diese Etappe will kein Ende haben. Es ist bereits kurz vor sechs, als ich an einer Kreuzung mitten im Wald die Orientierung verliere. Hier kommen sechs Wege zusammen, aber nirgendwo ist die gelbe Muschel auf blauem Grund zu sehen. Zwei Wege sind mit einem durchgestrichenen Hinweisschild markiert. Aber wo geht es lang. Einige Meter zurück finde ich die Bestätigung, noch auf dem richtigen Weg zu sein. Nach einem Blick auf die Karte in meinem Handy entscheide ich mich einfach für einen der nicht markierten Wege. Da, kaum erkennbar sehe ich auch wieder das vertraute Zeichen: Blassgelbe Muschel auf dunkelgrauem Grund, befestigt an einem dunklen Baumstamm. Bei schwindendem Tageslicht wird das hier echt schwer.

Im Dorf angekommen frage ich mich zu meiner heutigen Bleibe durch. Martine und Philippe wohnen ca. einen Kilometer außerhalb des Ortes. Das sind heute die längsten 1.000 Meter. Ich werde herzlich begrüßt und freue mich auf mein kleines Zimmer. Noch vor dem Abendessen habe ich die Gelegenheit, viele meiner Sachen in einer Waschmaschine zu waschen. Das ist Luxus. Beim Abendessen unterhalten wir uns über dies und das und natürlich auch über die Kinder der Schmetterlingsgruppe und den Jakobsweg. Es ist schon nach 10 Uhr, als ich auf dem Bett sitzend das Macbook raushole und zu schreiben beginne. Zu spät, mir fallen die Augen zu und ich muss schlafen.