Saône

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Donnerstag, 22. Februar 2018: Mont Roland – St. Jean-de-Losne (20,5km)

Das gestrige Abendessen war sehr gut. Es gab Pastete mit Entenleber und Salat als Vorspeise, Schweinefilet als Hauptgang und zum Nachtisch Crème Caramel; dazu einen leckeren Chardonnay. Das Bett war auch prima, es war nicht zu kalt und nicht zu warm aber ich habe wieder nur mäßig gut geschlafen. Das Frühstück weckt ein paar Lebensgeister. So richtig fit fühle ich mich aber nicht.

Erst gegen kurz nach neun verlasse ich das Hotel und laufe bergab nach Sampans. Von hier geht es auf Teerstraßen und guten Feldwegen teilweise zwischen Feldern und Wiesen und teilweise durch ausgedehnte Laubwälder. Das permanente Rauschen wird weder von Wind noch von Wasser verursacht. Die Autobahn ist oft weniger als 100 Meter vom Verlauf des Jakobsweges entfernt und übertönt sämtliche eventuell vorhandenen Naturgeräusche wie Blätterrascheln oder Vogelgezwitscher.

Zweimal überquere ich den Quell des Lärms bevor mich der Camino an die Saône führt. Auf der linken Seite des schiffbaren Flusses gehende ich weiter Richtung Westen. Die Sonne versteckt sich schon seit einiger Zeit hinter den Wolken. Der anfänglich angenehm zu laufende Feldweg verwandelt sich zusehends in einen der bekannten Matschmatschwege. Na ja, was soll’s. Der aufkommende Wind trägt meine Stimmung leider auch nicht in neue Höhen.

Körperlich geht es mir gut. Mal zwickt es hier und mal zwackt es dort. Alle kleinen Schmerzen sind spätestens am nächsten Tag vergessen. Ich komme auch mit meinen Sachen zurecht und vermisse keine Dinge. Bis jetzt musste ich nie Hunger leiden, hatte immer genug Wasser dabei und jede Nacht ein Dach über dem Kopf und ein Bett darunter. Was mir zu schaffen macht, ist die Einsamkeit. Unterwegs begegne ich niemandem und am Abend bin ich im Restaurant neben ein oder zwei Paaren häufig der einzige Gast. Und das wird wohl noch mindestens bis Le Puy so weitergehen. Da ist viel Zeit zum Nachdenken und viele Themen und Fragen schwirren mir durch den Kopf. Dabei hüpfen die Gedankenfetzen völlig ungeordnet durch das Hirn. Noch bleiben die Antworten aus.

Ich bin froh, als ich St. Jean-de-Losne, des heutige Etappenziel erreiche. Mein Gastgeber Gerard empfängt mich sehr freundlich und zeigt mir das Zimmer mit dem in rote Satintücher gehüllten Himmelbett. Hoffentlich kann ich hier heute Nacht Erholung für Körper und Geist finden. Vorher gehe ich noch bei eisigem Wind über die Brücke um in einem der Lokale am Quai national zu speisen. Heute genieße ich wieder Foie gras als Entrée. Zum Hauptgang gibt es heute Zanderfilet und zum Nachtisch eine herrliche Crème brulée. Kaum jemand bestellt hier nur ein Hauptgericht und ich passe mich den Menü-Gepflogenheiten gerne an.