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(101) Grünes Galicien

  • Frank Derricks
  • Kurzinformation, Projekt, Tagebuch
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Dienstag, 22. Mai 2018: Triacastela – Sarria (20,9 km)

Durch das Gewitter am gestrigen Abend ist die Luft schon in der Nacht sauber und klar. Am Morgen machen wir uns (mal wieder als Letzte) auf den Weg von der Herberge ins Lokal von gestern. Hier gibt es ein gutes Frühstück; heute mal ein Schinken-Käse-Toast mit Orangensaft und Café con leche beziehungsweise Tee. Als wir das Lokal verlassen, hat sich der Nebel bereits weitgehend gelichtet. Nach der anstrengenden Etappe von gestern möchte ich Hermine nicht mehr belasten als nötig, deshalb laufen wir den direkten Weg nach Sarria, ohne den „Umweg“ von circa fünf Kilometern zum Kloster Samos zu machen. Es stammt aus dem sechsten Jahrhundert und gilt als eines der ältesten Klöster in der westlichen Welt.

Der direkte Weg ist aber wohl nicht weniger anstrengend als der weitere, doch flachere Weg über das Kloster. Gestern habe ich am „Alto de Poio“ gehört, wie jemand sagte, dass es von nun an bis Santiago nur bergab gehen würde. Auch ich dachte und sagte das vor vier Jahren zu Harald, weiß es heute aber besser. Der Jakobsweg durch Galizien ist ein ständiges Auf und Ab, auch wenn keine Gipfel mehr erklommen werden. Dafür ist es so unglaublich grün. Noch grüner als der Frühling in Frankreich.

Im goldenen Schein der Morgensonne laufen wir bald schon wieder bergauf bis auf 900 Meter. In einem liebevoll restaurierten Häuschen am Wegesrand wohnt und arbeitet Arthur Lowe, ein englischer Künstler. Alles ist schön gestaltet und dekoriert, und es gibt für die Pilger mit etwas Geduld keinen Stempel, sondern ein kleines Gemälde in den Credencial (Pilgerausweis). Nachdem wir uns mit Arthur unterhalten haben und die Wasserfarbe getrocknet ist, laufen wir weiter über angenehme Wege und durch hohle Gassen bis zu einem bunt ausgestalteten Refugium. Hier versorgen einige junge „Aussteiger“ die Pilger gegen Spende mit frischem Minzwasser, Tee, Früchten und anderen Köstlichkeiten.

Hier gibt es kein WLAN. Die Besucher werden aufgefordert, sich stattdessen zu umarmen. Hermine ist nur schwer zum Weiterwandern zu bewegen. Es gelingt mir schließlich doch, und wir sind wieder auf dem Weg, der jetzt stetig bergab nach Sarria führt. Die letzten Kilometer vor der und durch die Stadt ziehen sich wieder. Das scheint mir auf diesem Weg sehr häufig der Fall zu sein. Irgendwie schaltet der Körper drei bis fünf Kilometer vor dem Erreichen des Etappenziels in den Erschöpfungsmodus – ganz unabhängig von der Etappenlänge.

Unsere schöne Herberge „La Casona“ wird von einem super freundlichen Ehepaar betrieben, das uns herzlich empfängt. Während Minchen sich ausruht, laufe ich den Berg hinauf in die Altstadt, um mich wieder diesem Blog zu widmen. Theresa und Jean-Marc wollen mit ihren Kindern noch ein paar Kilometer weiter: Das wird für die junge Familie mit dem Handwagen heute ein langer Tag. Hermine und ich essen später direkt an einer vielbefahrenen Ampelkreuzung leckere Pizza und finden es herrlich. In unseren Badeschlappen schlurfen wir danach zurück in die Herberge und liegen bald flach.